Oktober 2022

Wir freuen uns sehr über das Interesse an unserem fünfzehnten HSBA Finance Blog! Viel Spaß beim Lesen der Oktober-Ausgabe.

Marktupdate

Die Abwärtsbewegung setzte sich an den Kapitalmärkten im Oktober weiter fort. Großbritannien sowie die Credit Suisse stehen diesen Monat besonders im Fokus der Anleger.

Großbritannien

Die ehemalige Premierministerin Liz Truss forderte Steuersenkung, welche durch die Erhöhung der Staatsausgaben getilgt werden soll. Dies hatte zur Folge, dass das Vertrauen in die Währung nachließ.

Am 10.10 startete die Bank of England mit ihren Anleihenotkäufen, um den Markt zu unterstützen. Denn viele Anleger sind nach der Steuersenkung von der Premierministerin verunsichert. Dabei wurden seitens der Zentralbank zehn Mrd. Pfund in jeweils 50% in indexierte/inflationsgekoppelte Staatspapiere und 50% in langlaufende Staatsanleihen investiert. Um zusätzlich den Markt zu stützen, wurde der Verkauf von Unternehmensanleihen ausgesetzt.

Großbritanniens Inflation ist auf einem 40-Jahreshoch. Dies ist vor allem auf hohe Energie- und Lebensmittelpreise zurückzuführen. Die Inflation im Oktober von 10,1% übertraf die Erwartungen um 0,1%, was Druck auf den britischen Pfund ausübte. Die Performance zum USD seit Jahresanfang beträgt ca. -16.5% – das ist für eine Währung wie dem Pfund ungewöhnlich. Um die Währung unter anderem zu unterstützen, führt die Bank of England Zinsanhebungen und Rückkaufe der Staatsanleihen durch.

Credit Suisse

Die Credit Suisse befindet sich derzeit in finanziellen Schwierigkeiten. Auslöser hierfür ist die steigende Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfallrisikos. Denn der CDS-Preis der Credit Suisse ist auf einem höheren Niveau als 2008 und aus diesem Grund werden Parallelen zur Lehman-Pleite gezogen.

Damit die Credit Suisse finanziell wieder besser dasteht, fand ein Rückkauf von Schuldpapieren statt, welches 20 Anleihen mit einem Volumen von 3 Milliarden Franken beinhaltet. Zusätzlich möchte sie das Nobelhotel Savoy in Zürich verkaufen. Ziel ist es die Schuldenlast zu reduzieren und das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen.

Das US-Justizministerium untersucht, ob die Credit Suisse US-Konten dabei hilft Vermögenswerte vor den Behörden zu verbergen, was die Bank abstreitet. Denn 2014 musste die Credit Suisse wegen einem Steuerhinterziehungsvergleich eine Strafe in Höhe von 2,6 Mrd. US-Dollar zahlen. Die Credit Suisse hat sich verpflichtet der Ursache nachzugehen. Derzeit wird geprüft, ob sie den Problemen auf den Grund gegangen ist und keine Vermögenswerte mehr verdeckt. Denn Insidern zufolge hätten südamerikanische Bürger die Möglichkeit, Vermögenswerte zu verstecken.

Von daher bleibt abzuwarten, ob die Credit Suisse ihre Schuldenlast nur vorübergehend oder wirklich langfristig abbauen kann, um finanziell besser dazustehen.

Quellen: tagesschau.de; manager-magazin.de; spiegel.de; handelszeitung.ch; tippinpoint.ch

Autor: Bjarne Quast

Zinsanstieg: Auswirkungen auf den Immobilienmarkt

Seit Jahren unterliegen die Immobilienpreise bundesweit einem stetigen Anstieg. Gemäß dem Häuserpreisindex des Statistischen Bundesamtes sind die Preise für Immobilien von 2015 bis 2021 um 53,9% gestiegen, was einer jährlichen Wertentwicklung von 7,45% entspricht.

Gezeichnet war der deutsche Immobilienmarkt besonders durch das Niedrigzinsumfeld. Seitdem das allgemeine Zinsniveau wieder ansteigt, gibt es vermehrt Prognosen, die langfristig eine Kehrtwende am Immobilienmarkt erwarten. In erster Linie könnte davon ausgegangen werden, dass die zügig steigenden Zinsen für fallende Immobilienpreise sorgen werden. Alternativ könnte auch eine eintretende Preisstagnation in Kombination mit einem steigenden Einkommensniveau den Markt wieder ins Gleichgewicht bringen.

Besonders problematisch kann der aktuelle Zinsanstieg für all diejenigen werden, die eine Baufinanzierung zu einem niedrigen Zinssatz abgeschlossen haben und deren Sollzinsbindung nun endet. Die notwendige Anschlussfinanzierung zu einem höheren Zinssatz kann eine erhebliche monatliche Mehrbelastung bedeuten, die zusätzlich zu der hohen Inflation getragen werden muss.

Innerhalb der letzten 7 – 8 Jahren bewegte sich der Zinssatz für Baufinanzierungen zwischen 1% und 2%. Selbst Zinssätze von unter 1% waren zuletzt nicht unüblich. Der aktuelle Zins für Baufinanzierungen beträgt knapp über 4%. Besitzer eines Bausparvertrags, die sich durch diesen die niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre für zukünftige Immobilieninvestition gesichert haben, gehören jetzt zu den Gewinnern.

Quellen: sueddeutsche.de; bubeck-immobilien.de; saarbruecker-zeitung.de; zinsentwicklung.de; interhyp.de

Autor: Friedrich von Freymann

Credit Suisse: Schwindendes Vertrauen und steigende Versicherungsprämien

Vergangenen Monat sorgte vor allem ein Finanzinstitut für Sorgen an den Kapitalmärkten. Die Rede ist von der Schweizer Großbank Credit Suisse AG (Credit Suisse), die sich aktuell in stürmischem Fahrwasser befindet. Neben Ermittlungen der Steuerbehörden und dem Ausfall großer Kreditnehmer wurden jüngst Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Bank laut. Diese zeigten sich vor allem in temporär stark gestiegenen Kosten von Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) für Anleihen der Credit Suisse. Um dieses Phänomen und seine Auswirkungen auf das operative Geschäft verstehen zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise dieses Finanzproduktes notwendig.

Credit Default Swaps (CDS) sind derivative Finanzinstrumente zur Absicherung gegen den Ausfall einer Referenzkreditverbindlichkeit (= Credit Default). Dabei schließen zwei Parteien einen Vertrag, der Versicherungscharakter hat: Der CDS-Käufer (Versicherungsnehmer) versichert sich bei dem CDS-Verkäufer (Versicherungsgeber) gegen den Kreditausfall (Versicherungsfall). Bei Eintritt des Versicherungsfalls ist der CDS-Verkäufer verpflichtet, eine Ausgleichszahlung (Versicherungsleistung) an den CDS-Käufer zu leisten. Im Gegenzug muss der CDS-Käufer dem CDS-Verkäufer eine regelmäßige Zahlung (Versicherungsprämie) leisten.

Konkret könnte sich z.B. eine Bank A (Siehe Abbildung unten) gegen den Ausfall eines Kreditnehmers B versichern, indem sie hierfür von einer Bank C einen entsprechenden CDS kauft. Fällt der Kreditnehmer B aus, so muss die Bank C eine Ausgleichszahlung an die Bank A für den ausgefallenen Kredit leisten. Während des Bestehens dieser Versicherung in Form des CDS muss die Bank A der Bank C regelmäßig eine Prämie, den sogenannten CDS-Spread, zahlen. Dieser wird in Basispunkten des Kreditbetrags berechnet.

Im Falle der Credit Suisse handelt es sich um CDS zur Absicherung gegen den Ausfall von Anleihen (verbriefte Kreditverbindlichkeiten) der Bank. Hier hatten sich die Spreads für fünfjährige CDS auf vorrangige Credit-Suisse-Anleihen im Vergleich zum Jahresbeginn temporär mehr als versechsfacht. Diese gestiegenen CDS-Spreads sind ein Indikator dafür, dass der Markt eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit für die Anleihen der Credit Suisse einpreist. Denn wie bei jeder Versicherung gilt: Je größer das zu versichernde Risiko, desto höher die Versicherungsprämie. Wer nah am Wasser baut, wird in der Regel auch eine höhere Prämie für seine Hochwasserversicherung zahlen müssen. Aus Investorensicht scheint die Credit Suisse immer näher ans Wasser zu rücken, was die Versicherungsgeber (CDS-Verkäufer) dazu veranlasst, höhere Spreads zu verlangen.

Abbildung: CDS-Spreads im Vergleich; Quelle: FAZ

Die Gründe für diese Einschätzung dürften hauptsächlich im operativen Geschäft liegen. Neben Geldwäscheskandalen und Ermittlungen der Steuerbehörden sorgte vor allem das Investment- Banking-Geschäft für Schlagzeilen. Die Bank erlitt im Sommer 2021 einen Verlust von über 10 Milliarden Euro in einem Gemeinschaftsfond mit der mittlerweile insolventen Grensill Bank. Wenige Monate später sorgte die Pleite des New Yorker Hedgefonds Archegos Capital für einen Kreditausfall von über 5 Milliarden Euro. Diese Vorfälle verursachten nicht nur einen Jahresfehlbetrag von über 1,5 Milliarden Euro, sondern zeugen aus Investorensicht auch von einem unzureichenden Risiko- und Compliance-Management. Das bereits angeschlagene Vertrauen der Anleger erodierte Anfang Oktober weiter, als der Vorstandschef Ulrich Körner in einer zur Beruhigung der Lage gedachten Rede bestätigte, die Bank befinde sich „in einem kritischen Moment“.

Neben den Reputationseffekten hat die angespannte Lage der Credit Suisse auch einen negativen Einfluss auf die Finanzierungkosten der Bank. Denn genau wie die CDS-Verkäufer preisen auch die Fremdkapitalgeber eines Unternehmens eine gestiegene Ausfallwahrscheinlichkeit in ihre Konditionen ein. Folglich steigen mit den steigenden Risikoprämien auch die Finanzierungskosten des Unternehmens.

Im Zuge der aufsehenerregenden Entwicklung der CDS-Spreads für Credit-Suisse-Anleihen wurde auch wieder eine grundsätzliche Kritik an CDS laut. Hierbei wird die Tatsache angeprangert, dass sich nicht nur die Inhaber von Anleihen eines Unternehmens mit CDS eindecken können, sondern auch „unbeteiligte“ Dritte. Diese würden die CDS aus rein spekulativen Gründen erwerben, auf den Niedergang des Unternehmens hoffen und diesen möglicherweise durch eine Dramatisierung der Lage wahrscheinlicher werden lassen. CDS-Inhaber profitieren in der Tat, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeit des Unternehmens nicht vollständig realitätsnah dargestellt wird, da sie ihre CDS dann teurer weiterverkaufen können. Allerdings ist dies kein CDS-spezifisches Merkmal. Auch die Inhaber von Anleihen eines Unternehmens haben einen Anreiz, dessen Lage nicht realitätsnah darzustellen. Der einzige Unterschied ist: Anleiheninhaber profitieren von einer Beschönigung der Lage, während den CDS-Käufern eine Dramatisierung nutzt. Beides schränkt die Allokationsfunktion des Kapitalmarkts ein. Bei einer Beschönigung erhält das Unternehmen mehr und bei einer Dramatisierung weniger Kapital, als es bei einer realitätsnahen Darstellung erhalten würde.

Kritiker argumentieren darüber hinaus, dass CDS die Lage der betroffenen Unternehmen auch aufgrund steigender Finanzierungskosten noch weiter verschlechtern würden. Dabei liegt jedoch ein Irrtum vor, der metaphorisch häufig als die Verwechslung des Fiebermessers mit der Ursache des Fiebers beschrieben wird. Die CDS-Spreads zeigen die eingepreiste Ausfallwahrscheinlichkeit lediglich an, sind aber nicht Ursache für die Veränderungen der Ausfallwahrscheinlichkeit. Der Auslöser ist die Verschlechterung der Fundamentalfaktoren eines Unternehmens, welche einen Ausfall wahrscheinlicher macht. Diese und nicht die CDS führen zu steigenden Finanzierungskosten.

Folglich sollte sich das Interesse der besorgten öffentlichen Diskutanten nicht auf den Fiebermesser, sondern auf die eigentliche Ursache der gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeit, also die fundamentalen Defizite im operativen Geschäft der Credit Suisse, richten. Für die langfristige Zurückgewinnung des Vertrauens der Anleger ist die Lösung dieser Probleme ausschlaggebend. Der Weg dorthin ist schwierig, aber nicht unmöglich. Kurzfristig soll der vorzeitige Rückkauf ausgegebener Anleihen laut dem CEO Ullrich Körner die Märkte beruhigen und Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Bank stärken. Ein Schritt, mit dem die Deutsche Bank 2016 den Weg aus einer vergleichbaren Krise einleitete und danach erfolgreich weiterging. Erste Anzeichen der Erholung gibt es auch bei der Credit Suisse. Aber ob die Bank den zweiten essenziellen Teil der damaligen Strategie der Deutschen Bank – die Durchführung einer konsequenten Umstrukturierung – ebenfalls erfolgreich umsetzt, bleibt abzuwarten.

Quellen: bundesbank.de; credit-suisse.com; faz.net; nzz.ch; handelsblatt.com; zdf.de

Autor: Finn Kattein & Felix Blanke

Die EC-Karte – bald ein Relikt aus der Vergangenheit

Die EC-Karte ist in Deutschland die beliebteste Bankkarte. Laut der Bundesbank besitzen 95% der Bundesbürger mindestens eine EC-Karte. Eine Kreditkarte haben jedoch nur knapp mehr als die Hälfte der Bundesbürger. Das wird sich ab Mitte des kommenden Jahres aber ändern müssen. Grund dafür ist eine Entscheidung vom US-Bezahldienstleister Mastercard.

Mastercard hat entschieden, ab dem 1. Juli 2023 keine neuen EC- Karten mit der Maestro-Funktion zu unterstützen. Der Grund für diese Entscheidung war, dass die EC-Karte nicht mehr zeitgemäß sei, weil sie meist nicht für Online-Zahlungen genutzt werden kann. Mit dem Wegfall der Maestro-Funktion kann mit der EC-Karte im Ausland kein Geld mehr abgehoben und nicht bargeldlos bezahlt werden. Damit verliert die EC-Karte eine wichtige Funktion und Banken erwägen, die EC-Karte ihrer Kunden mit einer Debitkarte zu ersetzen.

Doch ist die Debitkarte eine geeignete Alternative? Eine Debitkarte ist eine Kreditkarte, die aber nach dem System einer EC-Karte funktioniert. Sobald etwas mit der Debitkarte bezahlt wurde, wird das Konto mit dem Rechnungsbetrag belastet. Sie verbindet die Vorteile einer EC-Karte, zum Beispiel Geld abheben zu können und Kontoauszüge zu ziehen, mit denen einer Kreditkarte. Dazu zählen insbesondere Zahlungen im Ausland.

Jedoch hat die Debitkarte auch Nachteile. So ist es nicht möglich mit ihr eine Reservierung vorzunehmen, Flüge zu buchen oder Kautionen zu hinterlegen. Dies ist dadurch begründet, dass die Debitkarte nur bis zur Kontodeckung beziehungsweise in Höhe des Überziehungskredites genutzt werden kann. Außerdem sind für die Händler die Transaktionskosten ein wunder Punkt. Grundsätzlich gilt, dass beim Bezahlvorgang für den Karteninhaber keine weiteren Gebühren anfallen, da diese allein vom Händler getragen werden. Bei der EC-Karte beträgt die Gebühr ca. 0,20% bis 0,25% des Rechnungsbetrags, während sie bei einer Kreditkartenzahlung bis zu vierfach höher ist. Das stellt für kleine Händler mit niedrigen Umsätzen ein Problem dar. So ist es auch nicht verwunderlich, dass mehr als 100.000 Händler in Deutschland keine Kreditkartenzahlung akzeptieren.

Quelle: tagesschau.de; bezahlexperten.de; morgenpost.de; mdr.de; futurezone.at

Autorin: Isabella Pausch

Lettuce not panic – Regierungskrise und Salatvergleiche im Vereinigten Königreich

Der Stand dieses Artikels ist der 21.10. Inzwischen wurde Rishi Sunak als neuer Premierminister vereidigt.

Als kranker Mann vom Bosporus wurde vor Ausbruch des ersten Weltkrieges das Osmanische Reich bezeichnet. Einst eine Großmacht in der europäischen und nahöstlichen Geopolitik verlor das Land zusehends an Einfluss und Ansehen in der Welt. Heute lässt sich die Metapher auf Großbritannien beziehen. Einst hieß es noch Britannia rules the waves, momentan schlagen aber eher Politiker mit Skandalen und Rücktritten Wellen. In der Septemberausgabe des HSBA Finance Blogs haben wir über das Rennen zwischen Liz Truss und Rishi Sunak um die Nachfolge von Boris Johnson als britischer Premierminister geschrieben. Wie erwartet gewann Truss die meisten Stimmen der konservativen Tory Partei. Doch nun tritt sie nach gerade einmal 45 Tagen im Amt zurück. Aber fassen wir zunächst einmal die Ereignisse zusammen, die dazu führten.

Liz Truss Antritt kam zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Kaum war sie im Amt, starb Königin Elizabeth II. Die Monarchin war für viele das Symbol britischer Softpower und eine feste Instanz des Vereinigten Königreichs gewesen und niemand hatte wirklich darüber nachdenken wollen, was passieren würde, sobald die Königin sterben würde. Entsprechend lag der Fokus weniger auf der neuen Premierministerin und den massiven Problemen des Landes als auf den königlichen Familien und dem neuen Monarchen Charles III. Welche Politik Truss in den ersten Tagen ihrer Amtszeit verfolgen würde, bestimmte zu Beginn nicht die britischen Medien. In ihrem Wahlkampf kündigte Truss an, dass sie die Steuern für Einkommen und Unternehmen senken wollen würde und gleichzeitig die Staatsausgaben erhöhen würde, um Wirtschaft und Gesellschaft zu unterstützen. Dass diese Finanzpolitik die Finanzmärkte aufwühlen würde, argumentierte bereits Rishi Sunak, an seiner Niederlage änderte dies aber nichts.

Mit ihrem Finanzminister Kwasi Kwarteng stellte Truss im September das sogenannte Mini- Budget vor. Sie wollten die Grundeinkommenssteuer von 20% auf 19% senken, den Plan der Johnson-Regierung einer Erhöhung der Körperschaftsteuer von Unternehmen auf 25% umkehren und Zusatzausgaben für das angeschlagene Gesundheitssystem streichen. Was folgte war eine Binnenfinanzkrise, welche die Finanzmärkte in Aufruhr versetzte. Die Kosten der Kreditaufnahme für die britische Regierung stiegen weiter dramatisch an, da unklar war, wie die steigenden Staatsausgaben finanziert werden sollten. Gleichzeitig verlor das Pfund stark gegenüber dem Euro, aber besonders gegenüber dem US-Dollar. In einem überaus ungewöhnlichen Schritt kritisierte der Internationale Währungsfonds (IMF) die britische Regierung für eine verantwortungslose Wirtschaftspolitik, die die britischen Finanzmärkte auf längere Sicht beschädigen könnte. Auch die britische Zentralbank musste eingreifen und kaufte britische Staatsanleihen im Wert von 65 Milliarden Pfund auf, da Investoren in Panik Staatsanleihen verkauften, um ihr Kapital zu retten, und die britische Regierung Staatsanleihen verkaufte, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Um ihr Amt zu retten, ordnete Truss den Rücktritt ihres Finanzministers an – der Schaden war jedoch bereits angerichtet. Sie argumentierte, dass Großbritannien sich in der gleichen Krise befinden würde wie andere europäische Staaten – ausgelöst durch die russische Invasion der Ukraine. Doch Ökonomen teilen diese Ansicht nicht, da Großbritannien seit dem Brexit wirtschaftlich schwächer als beispielsweise EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich und ein „Risiko-Premium“ für Investitionen mit sich bringt.

Nach Kwasi Kwartengs Rücktritt wurde Gesundheitsminister Jeremy Hunt als Finanzminister vereidigt, welcher den Großteil des Mini-Budgets umkehrte, um die Märkte zu stabilisieren. Truss Wirtschaftspolitik war damit gescheitert und ihre Glaubwürdigkeit stark angeschlagen. The Economist schrieb, dass Truss noch Kontrolle über die Wirtschaft für sieben Tage habe, was der Lebensdauer eines Salatkopfes aus dem Supermarkt entsprach. Das Boulevardblatt Daily Star griff die Idee auf und richtete einen Livestream ein, in welchem ein Eisbergsalat mit Wackelaugen und Perücke neben einem Foto von Truss stand, um zu sehen, wer länger durchhalten würde. Inzwischen wissen wir, dass der Eisbergsalat gewonnen hat. Nach einer chaotischen Abstimmung über ein Fracking-Verbot im Vereinigten Königreich, was von vielen als Misstrauensvotum gedeutet wurde, trat Truss schließlich am 20. Oktober zurück. Der siegreiche Eisbergsalat wurde an den Westminster Palast projiziert, in welchem das britische Parlament tagt.

Nun stellt sich die Frage, wer Liz Truss Nachfolger werden wird und wie sich das Land aus seiner Krise befreien möchte. Anders als bei Johnsons Nachfolge wird ein Ergebnis innerhalb einer Woche erwartet: 357 konservative Abgeordnete werden abstimmen. Der wahrscheinlichste Kandidat dürfte Rishi Sunak sein. Seine Worte im Wahlkampf dürften nun prophetisch wirken und der ehemalige Investment Banker dürfte sich zumindest anfangs das Vertrauen der Märkte sicher sein. Auch Penny Mordaunt wird als mögliche Nachfolgerin gehandelt: sie ist Stand 21.10. die einzige Person, die ihre Kandidatur öffentlich gemacht hat. Sie wird jedoch von erzkonservativen Parteikollegen als zu progressiv bezeichnet. Auch ihre Steuerpläne gelten als unpräzise, was im momentanen Umfeld negativ aufgefasst werden dürfte. Und dann gibt es noch Boris Johnson, der ein politisches Comeback versuchen könnte, schließlich beendete er seine letzte Rede im Parlament in Arnold Schwarzenegger Manier mit „I’ll be back“. Johnson hat zwar in der Vergangenheit gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann und erfreut sich bei der konservativen Basis nach wie vor großer Beliebtheit, doch unter den Abgeordneten ist er umstritten. Außerdem ist er erst frisch zurückgetreten –

„Party-Gate“ ist bei den Briten weiterhin im Gedächtnis präsent und er würde ein leichtes Ziel für die Opposition abgeben. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass in den nächsten Wochen Rishi Sunak doch noch britischer Premierminister wird.

Auch wenn es momentan unwahrscheinlich ist, besteht die Möglichkeit auf Neuwahlen, da der Unmut in der Bevölkerung, Opposition und Regierung stetig wächst. Daran kann die konservative Partei jedoch noch kein Interesse haben, da Umfragen einen Erdrutschsieg der Oppositionspartei Labour prognostizieren. Fest steht jedoch, dass die britische Regierung zunehmend Austerität praktizieren wird, um ein Debakel wie unter Truss zu vermeiden. Die Finanzmärkte dürfte das beruhigen, auch wenn das Vereinigte Königreich wohl momentan kein sonderlich attraktives Objekt für Investitionen darstellt. Für die Bevölkerung dürfte ein Sparkurs der Regierung jedoch gravierende Folgen habe. Wie in der Septemberausgabe beschrieben, leiden viele Briten unter hohen Energie- und Lebensmittelpreisen und eine Rezession für den Winter wirkt unausweichlich. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte bereits, dass angesichts der Lage in Großbritannien auch gleich ein Eisbergsalat regieren könnte.

Quellen: theguardian.com; bbc.com; economist.com; economist.com; bbc.com

Bildquelle: Daily Mail

Autor: Maurice Häger

Meme des Monats

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